Thursday 9 January 2014

Löw über Regeneration, Sardinien und Trainingslager, 16.05.2012

Regeneration, Sardinien, Trainingslager. Das Team wächst, die Dortmunder sind angekommen. Und Bundestrainer Joachim Löw ist zufrieden. Heute hat er zum ersten Mal mit den Journalisten gesprochen.

Joachim Löw über:

die Spieler von Borussia Dortmund:

Ich hatte heute Morgen die Gelegenheit, mit allen Dortmunder Spielern zu sprechen. Sie waren ein bisschen müde, von den ganzen Feierlichkeiten. Aber sie freuen sich alle, dass sie so langsam wieder ins Training einsteigen können. Keiner von ihnen hat Blessuren oder Verletzungen, so dass alle jetzt, zwar in unterschiedlicher Intensität, aber doch ins Training einsteigen können. Marcel Schmelzer hat sehr viel gespielt, Mario Götze und Sven Bender waren in den vergangenen Wochen und Monaten gelegentlich angeschlagen und aus dem Trainings-Rhythmus raus. Wir müssen die Trainingsinhalte individuell gestalten. Natürlich waren alle Spieler voller Freude über den Double-Gewinn und voller Selbstbewusstsein. Sie sind in freudiger Vorstimmung auf die EM.

die Vorbereitung auf Sardinien:

Die Spieler, die hier sind, haben optimale Bedingungen. Besser kann es gar nicht sein. Sie haben unglaublich gut und unglaublich intensiv gearbeitet. Spieler wie Per Mertesacker oder Miroslav Klose und einige andere, die angeschlagen sind, können in dieser Woche auf Sardinien wahnsinnige Fortschritte machen. Per hat mir schon gesagt, dass er das Wort Regenerationstrainingslager nicht mehr hören möchte, das wäre falsch. Er würde es besser finden, wenn wir sagen Trainingslager Nummer eins und Nummer zwei. Das zeigt schon, dass die Spieler hier sehr viel gearbeitet haben. Jetzt kommen nach und nach Spieler dazu, das ist nicht einfach, weil alle in einem unterschiedlichen Fitness-Zustand sind. Wir müssen uns viele Gedanken darüber machen, wie wir mit diesen Spielern umgehen. Wir müssen sensibel bleiben und abschätzen, was sie brauchen. Wir sind flexibel und auf alle Eventualitäten eingestellt. Wichtig ist, dass die, die da sind, konzentriert arbeiten. Das ist der Fall. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Mannschaft gut vorbereitet in das Turnier gehen wird.

die Entwicklung von Marco Reus:

Marco hat in diesem Jahr wirklich sehr gut gespielt. Er hat eine sehr positive Entwicklung gemacht. Bei der Nationalmannschaft musste er einige Male aufgrund von Verletzungen absagen. Für ihn ist die prophylaktische Arbeit wichtig. In der Nationalmannschaft ist er noch dabei, sich seine ersten Sporen zu verdienen. Die EM ist sein erstes Turnier. Er war einer der Spieler der Saison. Ich habe ihn zuletzt gesehen beim Spiel in Mainz. Seine Effizienz war hervorragend, zwei Tore eine super Vorlage. Ein Spieler wie Marco ist auf verschiedenen Positionen einsetzbar. Er kann auf der Seite spielen, er kann aus dem offensiven Mittelfeld agieren. Ich kann mir auch gut vorstellen, ihn ganz vorne zu sehen. Wir müssen ihn im Training auch mal im Sturm testen. Wenn der Gegner sehr tief steht und Marco ganz vorne spielt, ist er auch aus unserem Kombinationsspiel heraus in der letzten Linie anspielbar. Er kann sich schnell drehen, er ist wendig, beweglich und abschlussstark. Von daher kann ich mir gut vorstellen, dass Marco Reus gegen eine defensive Mannschaft auch mal ganz vorne spielt. Das ist jedenfalls eine Überlegung wert. Ich bin mir relativ sicher, dass er das ganz gut erfüllen könnte.

den Zustand von Lukas Podolski nach dem Abstieg mit Köln:

Als er hier herkam, war er körperlich leicht lädiert. Er hatte eine Muskelverhärtung, deswegen habe ich mit ihm vereinbart, dass er in dieser Woche eine ganz spezielle Trainingsbehandlung bekommt. Weg vom Ball. Drei, vier Tage völlig individuelles Training, aber hochintensiv. Wir müssen auch zusehen, dass er den Kopf frei bekommt von der Situation in Köln. Es war wahnsinnig schwierig. Nicht nur der Abstieg, sondern das ganze Jahr hinweg. Die vielen Dinge, die dort vorgefallen sind, haben ihm ein Stück weit zugesetzt. Das haben wir hier am Anfang gemerkt. So langsam sehe ich seinen Seelenzustand wieder etwas zufriedener, er taut auf, er lacht wieder mehr, er ist auf dem Weg, der alte Lukas zu sein. Ich erwarte von ihm, dass er das, was er in den guten Spielen gezeigt hat, wieder zeigt. Da war er einer der Spieler, der fähig war, in die Tiefe zu gehen, in die Schnittstellen der Abwehr zu gehen. In vollem Tempo Wege ohne Ball zu machen. Bei der Nationalmannschaft war das immer die Stärke von Lukas. Er hat viele Tore gemacht, er hat viele Tore vorbereitet. Wir brauchen wie bei der WM 2010 einen starken Podolski.

die Fitness von Miroslav Klose und Per Mertesacker:

Per fehlt die Spielpraxis. Er braucht viele Einheiten auf dem Platz, er muss herangeführt werden. An Zweikampfverhalten und daran, Situationen richtig zu lösen. Aber ich habe Per selten so gesehen im physischen Training, im Konditionstraining, im Ausdauertrainer. Er ist unglaublich ehrgeizig und hat sich in der Beweglichkeit und im koordinativen Bereich eindeutig verbessert. Per hat insgesamt eine sehr gute Basis. Er war ja auch schon zuvor das eine oder andere Mal verletzt. In Bremen war es so, dass er dringend gebraucht worden ist und er nach ein, zwei Wochen Training mit der Mannschaft sofort wieder in den Wettkampf eingestiegen ist. Er hatte dann oft ein paar Wochen später wieder einen Rückfall und hat sich durchgeschleppt. In der Verletzungs-Zeit bei Arsenal hat er enorm viel im Reha-Bereich gearbeitet. Das hat ihm sehr gut getan. Zum jetzigen Zeitpunkt ist er sehr dynamisch, er ist körperlich sehr ausgewogen trainiert.

Miro kenne ich schon sehr lange, ich kann ihn sehr gut einschätzen. Deswegen machen wir jetzt einen Wochenplan, den er selber ein Stück weit mitgestaltet. Er weiß ganz genau, was er braucht. Wir machen eine Mischung: spielerisches Fußballtraining auf dem Platz und individuelle Einheiten im Fitnesscenter für den Köper. Miro braucht Schnelligkeit, Miro braucht Ausdauer, Miro braucht Kraftreize. Das müssen wir alles in eine Woche packen. Viele Einheiten, ein großer Umfang. Und dann sehen wir in einer Woche, wo er steht und wie er das ganze Training verkraftet hat.

das Finale der Champions League:

Mir ist vor allem wichtig, dass die Spieler ohne Verletzungen aus diesem Spiel herausgehen. Ich traue den Bayern den Titel zu. Sie haben in dieser Saison, gerade in der Endphase, und vor allem gegen Real Madrid, großartige Spiele gezeigt. Die Bayern werden am Wochenende richtig heißlaufen, sie spielen im heimischen Stadion, rein gefühlsmäßig sage ich, dass sie das schaffen werden. Die Niederlage gegen Dortmund war schmerzlich für die Bayern, aber sie werden das gut wegstecken. Wenn sie das Finale nicht gewinnen sollten, dann wird die Enttäuschung bei den Spielern an den ersten Tagen groß sein. Man muss ihnen dann eine um den einen oder anderen Tag längere Pause zugestehen. Aber ich bin sicher, dass wir es in jedem Fall schaffen, alle Spieler wieder auf den hohen Motivationslevel zu bringen, den wir brauchen.

den Konkurrenzkampf um die Plätze im endgültigen Kader:

Der Konkurrenzkampf baut sich langsam auf. Prognosen darüber, wer gesetzt sein wird und wer die Mannschaft möglicherweise verlassen könnte, sind jetzt aber viel zu früh. Es stehen ja noch etliche Trainingseinheiten und Spiele an. Es gibt jetzt noch keine Notwendigkeit, zu irgendwelchen Spekulationen. Die Positionen müssen größtenteils doppelt besetzt sein und ich muss mich fragen, welche personellen Lösungen für den gesamten Kader sinnvoll sind. Dass es denjenigen weh tut, die dann nach drei Wochen mit der gesamten Mannschaft und nach harter Arbeit mit großer Motivation trotzdem nach Hause fahren müssen, das ist auch klar. Dennoch kann es diesen Spielern für die Zukunft auch gut tun. Es gab in der Vergangenheit Spieler, die sehr davon profitiert haben, dass sie mal drei Wochen mit der Nationalmannschaft trainiert haben. Auch im Hinblick auf kommende Turniere. Die Argentinier haben beispielsweise häufig die gesamte U21-Mannschaft in der Vorbereitung dabei. Weil sie sagen, dass das die Spieler sind, die bei der nächsten WM entscheidende Rollen ausfüllen sollen.

seinen Eindruck von Julian Draxler:

Er macht es sehr gut. Wie haben bisher relativ wenig fußballspezifische Dinge gemacht. Technisch und in anderen Bereichen ist er absolut voll und normal belastbar. Er hält bei allen Trainingseinheiten ohne Probleme mit. Er ist in jungen Jahren schon gut ausgebildet, auch technisch. Natürlich werden wir in Südfrankreich weitere Eindrücke sammeln, vor allem fußballspezifisch. Ich habe ihn in der Bundesliga einige Male gesehen. Man konnte in diesem Jahr nicht erwarten, dass er konstant sein höchstes Niveau abruft. Aber einige Spiele haben mich überzeigt, ich habe gesehen, dass er ein 1:1-Spieler ist, er nimmt Tempo auf, wenn er die Möglichkeit hat, er hat Zug zum Tor, er hat Zug nach vorne. Das gefällt mir.

Parallelen zwischen dem Spiel von Borussia Dortmund und dem Spiel der Nationalmannschaft:

Wir arbeiten jetzt schon seit ein paar Jahren an unseren Ideen und unseren Vorstellungen vom Spiel. Wer uns beobachtet, weiß, dass unsere Spielweise nicht meilenweit von der der Dortmunder entfernt ist. Schnelles Umschalten, blitzartige Angriffe Richtung Tor. Das, was Dortmund in der Bundesliga macht, ist bemerkenswert, keine Frage. Sie kommen nach Ballgewinn immer sehr schnell zum Torabschluss. Das trifft seit längerer Zeit vollumfänglich auch auf die Nationalmannschaft zu. Was uns unterscheidet, ist das Spiel aus der Abwehr heraus, das in Dortmund eher von langen hohen Bällen geprägt ist. Wir wollen unser Spiel ein bisschen anders aufbauen, aber ansonsten sind die Spielweisen schon ähnlich.

Mesut Özil und Sami Khedira:

Sie waren nach dem Aus in der Champions League natürlich ein wenig niedergeschlagen. Aber sie haben in der Liga Maßstäbe gesetzt. Spanischer Meister vor dem FC Barcelona, das bedeutet schon was. Beide Spieler haben sich bei Real durchgesetzt. In unseren Analysen vor der EM haben wir festgestellt, dass Mesut Özil und Sami Khedira läuferisch riesige Fortschritte gemacht haben. Özil ist ohne Ball wahnsinnig gut, Khedira ist läuferisch sehr präsent. Beide sind körperlich in einer guten Verfassung.

das Relegationsspiel zwischen Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf:

Zunächst mal Gratulation an Düsseldorf zum Bundesliga-Aufstieg. Dass, was am Ende des Spiels passiert ist, verurteile ich aufs Äußerste. Trainer, Spieler und Vereinsverantwortliche gehen in die Kabine, das Spiel endet 2:2 und alle fragen sich, ob man wirklich aufgestiegen ist oder ob es noch ein Nachspiel gibt. Ich finde es ungeheuerlich, dass eine Minderheit von Fans vor Spielende den Platz stürmt. Es geht um so viel, es geht um den Aufstieg in die Bundesliga, es geht um Existenz, es geht um die Zukunft und es geht um diesen großen Erfolg. Die Fans müssen warten, bis das Spiel abgepfiffen ist, dann können Sie ihrer Freude freien Lauf lassen.

16 May 2012
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