Sunday 28 July 2013

Löw: "Die Gastfreundschaft war überwältigend", 07.10.2010

Am Freitag (ab 20.45 Uhr, live im ZDF) in Berlin will Joachim Löw mit der deutschen nationalmannschaft die Türkei im EM-Qualifikationsspiel besiegen. Das ändert nichts daran, dass der Bundestrainer jenem Land, in dem er vor zwölf Jahren eine Saison als Gastarbeiter verbrachte, immer noch herzlich zugetan ist. Für DFB.de schreibt Löw seine Erinnerungen auf.

"Das Länderspiel gegen die Türkei ist für mich indirekt auch eine Begegnung mit meiner Vergan­gen­heit. Denn in der Saison 1998/1999 habe ich dort ein unvergessliches Jahr erlebt, als ich bei Fenerbahçe unter Vertrag stand. Noch ein Jahrzehnt danach denke ich sehr, sehr gerne an diese Zeit. Der Aufenthalt in Istanbul und die Reisen durchs Land waren für mich als Trainer und Mensch eine wertvolle Erfahrung, die ich nicht mehr missen möchte.

Denn in der Türkei ist die Fußball-Begeis­terung riesig. Überall, wo man hinkommt, werden alle Fach­sim­peleien sofort mit größter Leidenschaft geführt. Natürlich konnte ich das in Istanbul besonders intensiv erleben. Denn durch die Rivalität der drei Klubs Fenerbahçe, Galatasaray und Besiktas ist die Stadt praktisch jeden Tag im Fußballfieber.

Doch auch in allen anderen Teilen des Landes ist Fußball ein wichtiges Gesprächs­thema. Für mich als Fenerbahçe-Trainer war es dabei immer wieder aufs Neue eine Überraschung, wie groß der Rückhalt und die Sympathie für unseren Verein bei Auswärts­spielen waren. Da war es keine Seltenheit, dass in einem Stadion mit einem Fassungs­ver­mögen von 30.000 Zu­schau­ern zwischen 20.000 und 25.000 Anhänger unser Team frenetisch anfeuerten. Selbstverständ­lich waren wir davon sehr angetan.

Generell gilt in der Türkei, dass der positive Fanatismus der Menschen wirklich etwas Außergewöhnliches ist. Denn die Fans begleiten ihren Klub, dem sie im wahrsten Sinne des Wortes ihr Herz geschenkt haben, ein Leben lang in guten und in schlechten Zeiten. Wenn etwa in Istanbul das äußerst stimmungsvolle Derby zwischen Galatasaray und Fenerbahçe ansteht, herrscht deshalb einige Tage vor und nach dem Spiel förmlich Aus­nahme­zustand in der Stadt. Die Brisanz des Auf­ein­ander­treffens zweier Topteams und die Erwartungs­haltung an deren Stars führen da zu Endlos-Diskussionen in der Familie und in Restaurants, mit dem Taxifahrer und auf dem Markt, denen sich kaum jemand verschließen kann.

Ich könnte aus meiner Zeit am Bosporus viele Anekdoten rund um den Fußball erzählen. Stattdessen möchte ich hier aber den Blick darauf lenken, wie überwältigend ich die Gastfreundschaft in der Türkei empfunden habe. Täglich habe ich die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Men­schen als etwas Wesent­liches im Alltag erlebt. Und ich bin mir sicher, es lag nicht nur an meiner Popularität als Trainer und dem hohen Stellenwert des Fußballs im Land.

Natürlich habe ich während meines Aufenthalts die Gelegen­heit genutzt, die türkische Kultur und die Mentalität der Bevölkerung kennenzulernen. Dies war für mich umso interessanter, da ich im asiatischen Teil der Stadt gelebt habe, weil eben Fenerbahçe dort seine Wurzeln und bis heute seine sportliche Heimat hat. Das Gemeinschaftsgefühl in den Familien war bei meinen Begegnungen mit den Fans beispielsweise eine Beobachtung, die ich ständig machen durfte. Ich konnte mich jedenfalls bestens mit der südländischen Lebensweise anfreunden und habe die Zeit am Bosporus genossen, weil ich dort überaus freundlich aufgenommen wurde.

Sportlich ist die heutige Begegnung für mich als Bundes­trainer das zweite Länderspiel gegen die Türkei. Erstmals führte uns der gemeinsame Weg bei der EURO 2008 ins Halbfinale in Basel, und nach einem 3:2-Sieg, bei dem Bastian Schweinsteiger, Miro Klose und Philipp Lahm unsere Tore erzielten, konnten wir den Einzug ins Endspiel in Wien bejubeln. Nun folgt in Berlin wieder ein interessantes Prestigeduell, denn die Türkei ist unser größter Kon­kurrent in der EM-Qualifikation 2012. Da ich mich gerade bei solchen Begegnungen äußerst wohlfühle, freue ich mich auf das Wieder­sehen mit den türkischen Freunden sowie auf ein spannendes und attraktives Auf­einander­treffen.

Die Türkei ist dafür bekannt, dass sie fußballerisch starke Einzelspieler hat. Das Markenzeichen ihres neuen Trainer Guus Hiddink ist es, gezielt taktische Impulse zu setzen und das Mannschaftsgefüge clever zu organisieren. So gesehen wird sich das Team, das nicht nur bei der EM 2008, sondern außerdem bei der WM 2002 im Halbfinale stand, heute mit Sicherheit von seiner besten Seite zeigen. Zumal viele Türken in Berlin ihr Zuhause haben und daher die Stimmung im Olympiastadion davon geprägt sein wird, dass die Gäste von ihren Landsleuten enthusiastisch unterstützt werden.

Für eine reizvolle Atmosphäre ist also vom Anpfiff an gesorgt. Bei allem sportlichen Ehrgeiz beider Teams habe ich jedoch den großen Wunsch, dass Fairplay auf dem Rasen und den Rängen dominiert und wir alle an diesem Abend ein friedliches Fußball-Fest feiern werden."

7 October 2010
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