Bundestrainer Joachim Löw spricht im Interview der Woche mit Eurosport über den Verlauf der EM-Qualifikation, Schönspielerei und einen Titel mit der Nationalelf. Zudem verrät der 51-Jährige, was Teams wie Borussia Dortmund auszeichnet und warum Vereine nicht immer den Trainer wechseln sollten.
Das Interview führte Hans Finger
Die EM-Qualifikation ist für die deutsche Nationalmannschaft bisher perfekt gelaufen. Fünf Siege, 15 Punkte - haben Sie das so erwartet?
Joachim Löw: Es war sicherlich eingeplant, dass wir die Spiele gegen Kasachstan und Aserbaidschan gewinnen. Am Anfang der Qualifikation war ich schon positiv angetan, weil wir eine lange WM hatten. Die Spieler waren bis zum Schluss dabei und hatten eine ziemlich kurze Pause und eine ganz kurze Vorbereitungszeit. Dann haben wir in Belgien gespielt und dann gegen die Türkei - das waren schon Spiele, wo ich mir gedacht habe: Vielleicht erreichen wir einmal nicht unseren Standard. Aber dann hat die Mannschaft das klasse gemacht und überzeugende Siege errungen. Diese Konstanz hat mich überrascht.
Apropos Konstanz, Sie haben jüngst Ihren Vertrag als Bundestrainer bis 2014 verlängert. Ist das eine Bestätigung für das Potenzial, das Sie im deutschen Fußball mittelfristig sehen?
Löw: Auf dem Weg, den wir seit einigen Jahren gemacht haben, vor allem 2009 und 2010 mit der WM, habe ich große Entwicklungssprünge gesehen. Das ist für mich als Trainer eine Befriedigung und Bestätigung für unsere Arbeit. Ich denke, dass wir mit unserer jungen Mannschaft die nächsten zwei, drei Jahre große Möglichkeiten haben. Die Perspektiven sind sehr gut. Wir können uns noch weiterentwickeln - diesen Weg möchte ich gerne begleiten.
Inwiefern sind Sie bestrebt, Spiele nicht nur zu gewinnen, sondern dabei auch noch schön zu spielen?
Löw: Die wichtigste Maxime für mich als Trainer war besser zu spielen als der Gegner. Und Punkt zwei: natürlich zu gewinnen. Ich möchte keine Mannschaft haben, die nur auf Teufel komm raus Spiele gewinnt, aber bei der Spielstil und Spielkultur nicht stimmen. Ich möchte eine Mannschaft, die dominant ist und besser Fußball spielen kann als der Gegner. Darauf arbeiten wir hin. Natürlich sind auch Ergebnisse wichtig, daran wird man gemessen. Aber ich möchte auch eine Mannschaft, die gut spielt.
Die Nationalmannschaft wird immer jünger. Ist die Erfahrung mittlerweile nicht mehr so wichtig?
Löw: Zuerst ist es keine Frage des Alters, sondern der Qualität. Als Trainer wird man die Mannschaft immer so zusammensetzen, dass man das Gefühl hat: Diese Spieler passen am besten zusammen. In den letzten Jahren habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Qualität über der Erfahrung steht. Das hat man bei der WM 2010 gesehen. Müller, Khedira, Neuer, Özil - die hatten überhaupt keine Turniererfahrung und alle wenig Länderspiele - aber sie haben trotzdem überragend gespielt.
Dann dürfte es Sie freuen, dass die Trainer in der Bundesliga vermehrt auf junge Kräfte setzen.
Löw: Ja, das sehe ich positiv. Nehmen wir einfach mal den Dortmunder Jürgen Klopp, der fünf, sechs, sieben, acht junge Spieler einbaut, sie ins kalte Wasser schmeißt, ihnen auch das Vertrauen gibt. Das brauchen die.
Ist die Bundesliga dabei, England und Spanien den Rang abzulaufen?
Löw: Wir sind schon noch ein Stück hinterher, das muss man so deutlich sagen. In diesem Jahr hat mit Schalke nur eine deutsche Mannschaft das Viertelfinale in einem europäischen Wettbewerb erreicht - England und Spanien schicken mehrere Teams ins Rennen. Das spricht jetzt nicht für die Bundesliga.
Sie sprechen Dortmund an. Die Mannschaft führt souverän die Tabelle der Bundesliga an. Was ist ihr größter Pluspunkt?
Löw: In erster Linie der Trainer, er hat die Mannschaft ja zusammengestellt und geformt. Bei Dortmund sehe ich eine sich wiederholende Spielweise, eine klare Handschrift. Ich weiß, wie Dortmund spielt und ich sehe, dass sich Dinge wiederholen, Automatismen vorhanden sind - das macht diese Mannschaft so stark. Darüber hinaus sind die Spieler körperlich in einer sehr guten Verfassung. Sie können jedes Spiel 90 Minuten hohes Tempo gehen und richtig Druck machen.
90 Minuten hohes Tempo, Druck machen - Sie leben mit der Nationalelf gewissermaßen das vor, was in vielen Bundesliga-Mannschaften praktiziert wird.
Löw: Gewisse Dinge, die wir mit der WM 2006 begonnen haben, zum Beispiel Fitnesscoaches und Sportpsychologen einzusetzen, die im individuellen Bereich mit den Spielern arbeiten, haben sich in den Vereinen festgesetzt, da gab es ja große Widerstände. Wir sehen, dass das der richtige Weg ist. Mit der WM 2010 ist die Denkweise gefestigt worden, eigene, junge Spieler einzubauen und diese Plätze nicht durch mittelmäßige und durchschnittliche Ausländer zu besetzen.
In den vergangenen Wochen haben andere Schlagzeilen die Bundesliga bestimmt. Wie beurteilen Sie die ganzen Trainerwechsel?
Löw: Die Bundesliga hat sicherlich kein positives Bild abgegeben. Was da passiert ist, war schon kurios. Da sorgt auch in den Vereinen und vor allem bei den Spielern für viel Unruhe und manchmal Nervosität. Einige Nationalspieler sind ja auch betroffen. Man muss das zwar von Fall zu Fall betrachten, aber Konstanz und Kontinuität bei Trainern in Vereinen mit einer klaren Philosophie ist auf Dauer immer erfolgreicher als ständige Wechsel.
Ist dann für Sie der große Titel in der Nationalmannschaft nicht bald mal fällig?
Löw: Sagen wir es so: Wir sind titelreifer als 2006 oder 2008. Das ist aber eine Momentaufnahme. Vielleicht sieht in eineinhalb Jahren vieles anders aus. Das hängt immer davon ab, wie sich Spieler entwickeln oder ob sich wichtige Spieler verletzen. Bei einem Turnier weiß man natürlich auch, dass unvorhersehbare Dinge passieren können, zum Beispiel ein Elfmeterschießen. Da geht es knapp zu, das haben wir alles selber erlebt. Wir sind auf einem guten Weg und gehören zu den Nationen, die einen modernen Fußball spielen, der vertikal ist, der schnell ist und der Fußballkultur beinhaltet. Das Maß aller Dinge ist allerdings Spanien.
5 April 2011
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